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Jerusalem in drei Begegnungen

  • swirth8
  • 7. Okt. 2017
  • 9 Min. Lesezeit

Jerusalem in drei Begegnungen

Wie beschreibe ich diese Stadt am besten, deren Name überall auf der Welt manchen Menschen Gänsehaut und jedem Reiseführerautor orgasmische Schreibergüsse bereitet? Ich werde versuchen, die drei Begegnungen zu erzählen, die mich am vergangenen Wochenende geprägt haben. Von den Freiwilligen aus dem Norden habe ich einen Kontakt zu weiteren Freiwilligen in Jerusalem knüpfen können, die in einem Hospiz (gebaut im 19. Jahrhundert) arbeiten, das direkt gegenüber der westlichen Altstadtmauern liegt, ein. Es war sowohl ideal, um zu Fuß die wichtigsten Stätten besuchen zu können und außerdem wunderbar, um mittags oder am Abend nach dem Trubel der Stadt im Innenhof in eine besonnene und ruhige Stimmung eintauchen zu können.

Die erste besagte Begegnung ereignete sich in der Altstadt. Mein Ziel war der Ölberg , dessen Friedhöfe und Kirchen am westlichen Hang, en face über dem Kidrontal dem Felsendom und den östlichen Altstadtmauern auf dem Tempelberg gegenübersitzen. Also verlief mein Weg einmal von Westen nach Osten durch die Altstadt, in der die alten engen Gassen gesäumt sind mit allen möglichen Läden und dir die arabischen Verkäufer ihre Ware anpreisen - „Luk! Luk!“ - „No, sorry!“ und weiter an bunten Textilien vorbei - „Best Qualiti! No China, no China!“ - Lächeln, Kopfschütteln und ein Blick auf eine üppige Auslage Kreuze, Heiligenartefakte und Chanukkaleuchter - „Ju Germany? I make special price for ju!“ - „Oh, thank you, but no!“ - „Hey, you like it?“ An einem T-Shirt-Shop halte ich an. „Wow, you look like my son!“* - „Really?“* Es entwickelt sich ein kurzer Smalltalk, in dem ich erzähle, warum ich hier bin, und ich von dem Verkäufer erfahre, dass er Mohammad Ali heißt. Als er mich zum Tee einladen will, bin ich noch zu skeptisch und lehne dankend ab, vielleicht ein anderes Mal. Sitt vom Ausblick auf dem Ölberg, der andächtigen Morgenstimmung im Garten Gethsemane und dem Gesang der Franziskaner in der Kirche aller Nationen und satt von einer großen Portion Humus führt mein Rückweg mit einigen Umwegen dann doch wieder an dem T-Shirt Shop vorbei. Mohammad Ali unterbricht das Gespräch mit einem Ehepaar. „You come to have a tea with me!“* Noch einmal will ich das Angebot nicht ablehnen, also befinde ich mich kurz darauf in einem Hinterzimmer. Mein kleines Männchen im Hinterkopf flüstert, dass das bestimmt seine Masche sei und ich warte darauf, dass er mich fragt ob ich nicht eins seiner T-Shirts anprobieren will. Aber erstmal erzählt mir mit einer beruhigenden Stimme von seinem Sohn, der jetzt ungefähr in meinem Alter sei und von seiner Familie, dass er in diesem Raum geboren sei und schon seine Eltern hier lebten, ich erzähle ein bisschen von mir. Schließlich traue ich mich und stelle die Frage, die mir schon seit dem Betreten des Shops auf den Lippen brennt; wie es für ihn sei, T-Shirts zu verkaufen mit dem Dolch und dem Stern der Israelischen Verteidigungsstreitkräften neben „I love Palestine“*. Er meint, er habe sich daran gewöhnt, seitdem ihm die Motive vorgeschlagen wurden, er wäre sonst verdächtig gewesen und außerdem sei es gut fürs Geschäft. Mit nur einer Hand voll Worte erzählt er von der Bestatzung, dann wechseln wir das Thema. Ob es nun das Ergebnis seiner Masche ist oder nicht, ich sage, dass ich das T-Shirt kaufen wolle, wegen dem ich beim überhaupt beim ersten Mal an dem Shop stehen geblieben war, woraufhin die Antwort kommt: „You can choose the price!“*, was mich erstmal völlig überfordert. Umgerechnet schlage ich 10 Euro vor, bekomme noch einen wirklich leckeren Pfefferminztee, während ich Größen ausprobiere, und sogar noch ein T-Shirt geschenkt! Am Ende lädt mich Mohammad Ali sogar zum Abendessen mit seiner Familie ein, was mich aber nun erst recht überfordert und ich lehne es ab. Ob diese Begegnung jetzt ein langgezogenes Verkaufsgespräch darstellte oder ein Exempel arabischer Gastfreundschaft, ich muss grinsen, wenn ich an den T-Shirt-Shop zurück denke.

Begegnung Nummer Zwei findet statt am Abend, nachdem ich mich unter anderem in den Wusel um das deutlich weihrauchschwangerste angebliche Grab Jesu begeben habe, die Grabeskirche. Schwanger von den Weihrauchfässern der sechs Konfessionen, einer davon auf dem Dach, und den Kerzen der Gläubigen und Touristen, von denen manchen sogar Tränen über die Wange laufen. Nachdem ich mich gegen Einbruch der Dunkelheit treiben lassen habe von der Menschenmenge an Juden, die zu diesem besonderen Shabat in der Sukkot-Zeit im Eilschritt in Richtung Westmauer strömten (bei einigen vielleicht eher als Klagemauer bekannt), eingefangen wurde vom Anblick einer Synagoge, vor der Alt und Jung, in Kippas, Fedoras, viele sogar in Kaftanen und Schtreimeln, sehr großen Pelzhüten, wild getanzt haben zu inbrünstigen fröhlichen Gesängen, habe ich die Altstadt verlassen und mich vor an das Jaffator gesetzt. Mein Plan, als die Kälte in meine Fingerspitzen kroch, zum Hospiz zurück zu kehren, wurde jedoch durchkreuzt als die ganzen festlich gekleideten jüdischen Familien aus dem Jaffator nach Hause zurückströmten. Den Röcken und Kaftanen folgend, mit dem Plan im Kopf mir Jerusalems Sukkas anzuschauen, fand ich mich schließlich im orthodoxen Viertel wieder, wo wirklich ordentlich gefeiert wurde. In einer Suka mit den Maßen eines Schützenfestzelts wurden Kreistänze aufgeführt. Mit der Textsicherheit, mit der dort Helene Fischer gesungen wird hier wieder die alten Gesänge. Alle Menschen in ausgelassener Stimmung, nicht vom Bier herrührend, sondern von der Tora. Ich muss wohl als einziger ohne Kippa und Schläfenlocken ziemlich auffallen, während ich weiter wanderte durch Gassen mit hohen Wohnhäusern links und rechts, deren zu Sukkas umfunktionierten Balkons leuchten- bestimmt über fünf oder sechs Stockwerke in der Höhe verteilt, und vielleicht sehe ich auch ein bisschen verloren aus, denn ein Mann spricht mich an auf Hebräisch und gestikuliert, bis ich mit der Hilfe von einem jüngeren Englisch sprechenden Mann verstehe, dass er mich fragt, ob ich Hunger habe und mit ihm in seiner Sukka essen wolle. So kommt es, dass ich ein paar Minuten später über eine enge Treppe, vollgestellt mit Kinderwagen, die Wohnungstür des braunhaarigen Mannes mit einem filigranen Brillengestell auf der Nase, dessen Namen ich leider leider schon vergessen habe, erreiche und draußen warte, bis mir mein Gastgeber eine gehäkelte Kippa herausgesucht hat. Die Wohnung ist schlicht und nackt und sehr klein für eine so große Familie, denn wie sich jetzt herausstellt, wohnen in hier auch noch sieben Kinder. Ich werde direkt in der Sukka an den Tisch geführt und es scheint, als befinde sich hier die gesamte Dekorationsinventar der Wohnung. Liebevoll hängen Postkarten an den weißen Wänden und ein kleines Gemälde. Am schönsten finde ich die anscheinend von den älteren Kindern selbst gebastelten Schaukästen an der Längsseite - sie zeigen kleine Szenen aus der Tora, Moses im Schilf, die Garben aus Josefs Traum, Jacob und die Himmelsleiter, Isaaks Opferung, zu Abraham ein Zelt und zu Aaron etwas, das vermute ich die Bundeslade und seinen Priesterstab darstellen sollte. Neugierig, wer da auf ihrem Balkon sitzt, schleichen zwei kleine Jungen von vielleicht vier und fünf Jahren herein und beäugen mich mit einem Grinsen auf dem Gesicht, das immer breiter wird, je weiter sie auf mich zu kriechen. Der Junge mit mit dem großen Rucksack scheint eine Attraktion zu sein. Auf Hebräisch frage ich sie, wie sie heißen. Nur Chaim habe ich mir gemerkt, zu Deutsch „Leben“. „A Gast!“, erklärt der Papa ihnen und versammelt nun auch den Rest seiner Jungs, einen noch kleineren, einen älteren von vielleicht Sieben mit Brille, einen etwa Neunjährigen, der wie sein Vater einen Schtreimel trägt, zusammen mit der Allerkleinsten um den Tisch (bestimmt könnte man den Jungs das Alter an den Schläfenlöckchen ablesen). Als der Vater sie fragt, ob sie mir „Shalom aleichem!“ wünschen wollen, reicht mir einer nach dem anderen die Hand, die drei kleinen ganz aufgeregt, die beiden großen souverän freundlich und sogar die Allerkleinste piepst ein „Shalom“, nachdem ihr Papa ihr Mut zuredet. Es ist mühselig und langwierig mich zu verständigen, aber irgendwie schaffe ich dann doch mit den paar Brocken Ivrit zu erzählen wo ich wohne, wo ich herkomme, dass ich nicht Jude sondern Christ bin, die schöne Sukka zu loben - warum ich in Israel bin, wird glaube ich nicht verstanden-, und, zu erfahren, dass in der Familie Jiddisch gesprochen wird, aber auch alle Hebräisch können. Die Frau - „meein Weeib“, die ich noch nicht zu Gesicht bekommen habe, genau wie die ältere Tochter habe anscheinend deutsche Vorfahren. Der Familienvater spricht das Gebet über das Brot, das zu Sukkot aus Hefeteig gebacken ist, und den Wein beziehungsweise Traubensaft für die Kinder. Es wird zusammen gesungen und von dem ältesten vorgesungen, dann gibt es allerlei Essen, Suppe und Reis, Fisch, Brei, Salat, und zum Nachtisch darf schließlich auch die Frau an den Tisch. Es gibt „Kompott“, ein weiteres Wort, was ich verstehe neben „Willst noch?“ und was den Anlass gibt, für die Mutter, die genauso freundlich und herzlich ist wie ihr Mann, ihre paar Deutschkenntnisse auszupacken. Als der letzte Rest Kompott weggeputzt ist, wird wieder laut gesungen, es klingt fast, als würden sie sich mit den Familien in den benachbarten Sukkas einen Wettkampf liefern, wer am lautesten singt. Dann gehe ich und mit einem „Shabat Schalom“ verabschiede ich mich von meinem Gastgeber und versuche, mich angemessen zu bedanken. Auf der nun viel leereren nächtlichen Straße, in der es keine einzige Reklame gibt, nur wie in der Winkelgasse Nachrichten an die Wände gekleistert sind und Teile des Asphalts von Flugblättern bedeckt sind, höre ich von oben aus den leuchtenden Sukkakapseln immer noch Gesang.

Diese Welt, in der die Menschen so viel Liebe in ihren Glauben stecken, hat mich trotz ihrer offensichtlichen Armut in den Bann gezogen. Und auch wenn die Geschichten von den Steine schmeißenden Ultraorthodoxen überhaupt nicht toll klingen; auch wenn ich nicht weiß, was wahr ist an dem Gerücht, dass sich diese „auf Kosten des Staates“ lebende Bevölkerungsgruppe, deren männliche Hälfte sich oft weigere außerhalb des Torastudiums eine Arbeit zu verrichten, auf Grund der hohen Geburtenrate immer weiter wächst und Israel zum Problem werde; diese Eltern, hauptsächlich ja der Familienvater, haben an diesem Abend ihren sieben Kindern beigebracht, wie man richtig mit einem

Fremden umgeht, selbst wenn er nicht die gleiche Sprache spricht und eine andere Religion hat.

Es wird echt ein langer langer Eintrag, aber die dritte Begegnung gehört jetzt auch noch dazu. Sie war wahrscheinlich die verrückteste. Nachdem ich am nächsten Morgen früh zur Westmauer gewandert bin, auf deren Vorplatz die fröhliche Sukkot-Stimmung andauerte, jedoch zum zweiten Mal nicht auf den Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aqsa-Moschee gekommen bin, der wieder nur für Muslime geöffnet war, bin ich außen an der Stadtmauer entlang spaziert und somit über den am östlichen Hang des Tempelbergs liegenden muslimischen Friedhof. Alte verwitterte Grabsteine und darüber thronend das Goldene Tor in der Stadtmauer, durch das der Messias kommen soll, eine durch Sultan Suleiman erschwerte Angelegenheit, der es versiegelte. Still und menschenleer, bis auf mich. Und den grauhaarigen Mann mit Rucksack und braungebrannter Haut, der mir entgegen kommt. Wir grüßen uns, als unsere gegenseitigen neugierigen Blicke eine Brennweite von vier Metern erreichen und der Mann fragt mich, woher ich komme - auf Englisch. Ich rattere also meine Standard-Antwort herunter, woraufhin der gebürtige Amerikaner mit Namen Daniel mir erzählt, dass er eine Zeit lang durch die Wüste gepilgert sei. Als wir unsere Eindrücke von Jerusalem austauschen, sitzen wir schon auf einer Bank und Daniel bietet mir seine Weintrauben an. Er erzählt, er sei in einer jüdischen Familie aufgewachsen und es zöge ihn ins Heilige Land. Schnell nimmt das Gesprächsthema Fahrt auf und wird auf einmal immer absurder. Ihn treibt ihn eine Idee und er erzählt wie Paulus habe er eine Erkenntnis gehabt, in der Gott zu ihm gesprochen habe. Gott habe ihm seinen wahren Namen gesagt. Eine tiefe Stimme nachahmend baut sich Daniel vor mir auf und hebt den Zeigefinger. „Daniel, why don’t you call me by my name? My only name is Yahuua!“ Ich frage ihn, ob er damit den Namen meint, den gläubige Juden sich nicht zu sagen trauen, JHWH, dessen Aussprache noch nicht einmal geklärt ist. Genau diesen Namen, den schon Mose aus dem Dornbusch gehört hat, meine er auch, jedoch habe es den Laut „W“, dessen Buchstabe im Hebräischen sogar tatsächlich für „U“ stehen kann, zu Moses Zeiten gar nicht gegeben, die Menschen hätten viel kehliger gesprochen. Seine Theorie, die die Grundlage für Daniels ganz eigenen Glauben bildet, in dem auch Jesus eine Rolle spielt, legt er immer weiter vor mir aus. Demnach mache auch sehr viel Sinn, Jesus „Yahuuuschua“ zu nennen, die Substanz von „Yahuua“ verbunden mit dem „schsch“, dem Geräusch des Windes, eine Lautmalerei des Heiligen Geistes. Ich höre fasziniert zu, denn Daniels Augen glänzen als er diese beiden Namen immer und immer wieder ausspricht. Er hat noch so viel mehr erzählt, an manches erinnere ich mich auch gar nicht mehr, aber es war überzeugt, er habe für sich das gefunden, was hinter dem Islam, dem Judentum und dem Christentum steckt, durch diese beiden Namen. Als wir uns verabschieden, raucht mir der Kopf.

Jerusalem ist wirklich verrückt. Fast fühle ich mich in die Kulissen von Life of Brian versetzt, wo ein Propheten an jeder Straßenecke der Stadt ihre abstrusen Ideen verkünden. Ich schließe mein Wochenende in Jerusalem noch ab mit der Besichtigung des Gartengrabes, ein Fund einer solchen Grabhöhle, in die auch Jesu Leichnam gelegt worden sein soll, der Besteigung des Berges Zion, des Grabs Davids, einem Blick in die Erlöserkirche und die archäologischen Ausgrabungen darunter und einem Abstecher ins armenische und ins jüdische Viertel der Altstadt, dann nehme ich am Ende des Shabat den Bus zurück nach Tel Aviv. Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick geben in das, was ich an diesem Wochenende von Jerusalem erlebt habe. Es waren echt so viele Eindrücke und drei wirklich besondere Begegnungen und es tut richtig gut, sie jetzt noch einmal Revue passiert lassen zu haben.

*Sie sehen aus wie mein Sohn

*Wirklich?

*Du kommst, um mit mir einen Tee zu trinken

*Ich liebe Palästina

*Du kannst dir den Preis aussuchen

*Daniel, warum nennst du mich nich bei meinem Namen? Mein einziger Name ist Yahuua


 
 
 

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